Es ist definitiv Jazz, aber was für welcher? Classic, weil die Musiker ein klassisches Meisterwerk geschaffen haben und dabei laut Plattentext alte, geradezu bach'sche Spiel- und Kompositionstechniken benutzten? Oder Free-Jazz? Nein, free war das ganz und gar nicht, was da aus den Lautsprechern klang, auch wenn damalige Schulkameraden fluchtartig verschwanden, sobald man beim gemeinsamen Hausaufgabenmachen die LP auflegte oder die Eltern sich oft über das vermeintlich atonale Gekreische aufregten, das da aus dem Sohneszimmer dröhnte. Modern? Gut, modern war es sicher, aber klingt es nicht auch ein wenig nach einer Heuernte in einem idyllischen Dorf in der Renaissance? Nun, die Musik war auf jeden Fall nicht sehr gesellig, sie war auch nichts für die Mädchen zu den damaligen NDW-Zeiten, aber das machte nichts, weil man bei dieser Musik sowieso nichts anderes tun konnte als zuzuhören. Und so vergingen denn die Jahre. Anfang der 90er zerstörte ich bei einem absurden Bügelunfall diese wunderbare LP und Mitte der 90er fraß ein billiger Walkman die zugehörige Kassette.
Mittlerweile weiß ich auch, was das für Musik ist. Es ist Synästhesie für Dysästhetiker (oder wie immer auch letztere heißen mögen). "The Rapids" zeigen dem Hörer wirklich einen munteren Bach mit Stromschnellen. Man hört das Wasser plätschern und fühlt die Spritzer auf der Haut, die Sonne scheint und im Aerosol über besonders lebhaften Stellen des Baches kann man andeutungsweise Regenbogen erkennen. Bei "There Was No Moon That Night" ziehen in einer Neumondnacht einige Wolken an den Sternen vorbei und irgendwie riecht es nach beginnendem Herbst. Nur "Impending Bloom" will keine rechte Vorstellung von schweren, riesigen Blüten aufkommen lassen, die sich langsam und majestätisch öffnen. Dafür kann ich dabei den Rhythmus immer noch nur fast mitklatschen.
Ich hab' sie wieder - neu! Und kann sie allen nur zutiefst empfehlen und wärmstens ans Herz und ans Ohr legen:
Oregon, Oregon. 1983, ECM 1258; 2008, ECM Records (Universal)